Über die Reinheit der Form – Anmerkungen zum Werk von Bernd Zimmer


Ein kurzer Blick in die Kunsthistoriographie unter geflissentlicher Vermeidung der Vor- und Frühgeschichte fördert für das späte neunzehnte Jahrhundert einen bürgerlichen Pomp zu Tage, der das aristokratische Leitbild zu übertreffen suchte aber leider nicht über Geschmack und Stil verfügte, sondern nur über Geld. Daran hat sich in der Breite – so wie das in der Breite eben so ist – bis heute nicht so sehr viel geändert.


Auf der Seite der Plastik war Constantin Brancusi einer der Wegbereiter. Er reduzierte sein bildnerisches Interesse auf Elemente wie „Ruhe“ und „Bewegung“ und fand zu einer unüberbietbaren Konzentration der Form unter Vermeidung alles Beiwerkes und aller epischen Breite. In der Tradition dieser Konzentration steht auch der gestalterische Impetus Bernd Zimmers.

Er geht von einer Idee, einer Einsicht, einem Begriff aus und sucht ihn in seiner originären Gestalt darzustellen. Der Grad, in dem ihm das gelingt, bestimmt den Gehalt und damit die Wirkung seiner Arbeiten.


Bernd Zimmer findet stets eine gültige Lösung. Seine Frage nach dem Substantiellen im Bereich der Idee formuliert er auf der Grundlage einer umfassenden intellektuellen Auseinandersetzung, was sich beispielsweiseanhand der Arbeit „Le mystère du roi Ubu“ darstellen lässt. Wenn wir den Hintergrund seiner Fassung des Themas ausleuchten, so stoßen wir auf Alfred Jarrys “Ubu Roi” von 1896. Mit Ubu Roi hat Jarry eine fette, feige, unfähige, spießige, machtgierige und skrupellose Theaterfigur geschaffen, die irgendwo zwischen Shakespeare und Commedia dell‘Arte angelegt ist. Bei Joan Miros Serie „Ubu Roi“ wird die Dichtung in eine surreale Vielfalt irrwitziger Liniengefüge und paralleler Erzählstrukturen übersetzt, bei Penderecki entsprechend in Klangbilder übertragen und von Bernd Alois Zimmermann mit einer bezeichnenden Tafelmusik versehen. Bernd Zimmers Lösung liegt zwischen Krone und Kampffigur, hat Rost angesetzt und ist als Relikt inszeniert, das sowohl den Aufstieg wie auch den Fall in Form und Farbe fasst.
Das Thema Krone hat bei Bernd Zimmer auch noch eine weibliche und zeitnahe Variation gefunden. Bei „la reine“ ist jede Ernsthaftigkeit gewichen. Die Krone ist Gestus und das helle Blau Symbol für das Modische,das einem gekrönten Haupt als Ausdruck geblieben ist. Die originelle Mitte zwischen einer im Hafen dümpelnden Dreimastbarck und einer Herrscherkrone macht den Charme dieser Arbeit aus.


Die Folge „Altäre“ setzt sich von der Traditionsreihe „Mensa, Retabel bis Hochalter“ ab und sucht zu vermitteln, was mit dem Altar beabsichtigt ist, nämlich über ihn einen Zugang zu schaffen und etwas Geistiges greifbar zu machen. Bei Bernd Zimmer geschieht das durch eine frühchristliche Archäologie entdeckter hinabführender Treppen, archaischer Portale, früher Taufbecken und ritueller Räume. Aller schmucken Überredungs- und Überzeugungskunst wird abgeschworen und statt dessen auf das Einfache verwiesen.


In diese Kategorie einer Auseinandersetzung gehört auch eine Arbeit wie „trinité“, die individuelle und korrespondierende Elemente zu einer Einheit fügt.


Auch das Motiv einer frühen Urbanität drückt Zimmer kongenial aus, wenn wir an sein „Graphitrelief aus der Serie Städte“ denken oder an seine gültigen Formulierungen aus der Serie „Häuser“, die ihn mit den Überlegungen einer ganzen Reihe hochkarätiger Zeitgenossen verbindet. Auch seine „Graphitleiter“ und „curtain“ gehören hierher.
Bernd Zimmers Lust am Elementaren verbunden mit einer außergewöhnlichen Fähigkeit zur reflektierten, zur reinen und stringenten Formulierung treffen das Eigentliche seiner Künstlerpersönlichkeit. Die abstrahierende Konzentration seiner Arbeiten beinhaltet immer auch ein Stück Leiden am Ziel absoluter Vervollkommnung. Die Nähe, die er zum Endgültigen gewinnt, ist das Aufregende dieses weit gekommenen und noch weiter ausgreifenden Künstlers.

Der zweite Blick: Die Dialektik von Zeichen und Raum –

7 (scheinbare) Paradoxien


MOMENTAUFNAHMEN IM ZEITLOSEN RAUM

Unterschiedlichste plastische Zeichen in einem Raum:
Eben noch gaben sie sich ihren vorsichtigen Dehnübungen hin, gingen auf Tuchfühlung mit dem Umraum, doch nun, da unsere Blicke auf ihnen ruhen, scheinen sie in ihrer Bewegung festgefroren zu sein, der Moment eines Wimpernschlags, eines Atemzugs – was sich unserem Auge letztlich präsentiert sind Form gewordene Zeitausschnitte des Lebens.
Doch gerade in dieser erhabenen Stille vermitteln sie uns die völlige Abkopplung von der Zeit – sind sie doch stumme Zeugen aus einer anderen Welt, einer erhabenen und fremden Welt, von der wir nur eine Ahnung und Sehnsucht entwickeln können, aber niemals ein Wissen.

1. Serielle Individuen – Bemerkungen zu den Säulen
Mancherorts sind modernes Bauen und zeitlose Ästhetik leider eine nur selten zu erlebende Synthese eingegangen. Dieser traurigen Entwicklung setzt Bernd Zimmer ein höchst originelles Modulsystem entgegen, welches freie und angewandte Kunst spielerisch elegant verbindet. Die hier präsentierten Säulen sind Prototypen und so konzipiert, dass sie allesamt seriell hergestellt werden können. Der Bildhauer nutzt seine ästhetischen Formerfahrungen und entwickelt mit diesen eine moderne Säulenform – wohlwissend, dass er sich hier auf eine erdrückende Vorbildtradition beruft, denn selbst für viele moderne Menschen führt in der ästhetischen Rezeption kaum ein Weg an den griechischen Vorbildern vorbei. Daher ist es umso anspruchsvoller, all dem eine zeitgemäße ästhetische Form entgegenzusetzen, die sich über den reinen Funktionalismus moderner Säulenformen erhebt.

2. Wenn Gips Rost ansetzt – Bemerkungen zu den großen Wandreliefs
Oberflächen sagen gemeinhin einiges über das Innenleben aus, welches sie umschließen – dies gilt sowohl für Plastiken als auch für Menschen. Wir gleiten über Oberflächen und sind dabei überzeugt, den Wesenskern erfasst zu haben. Bernd Zimmers Oberflächen führen unsere Wahrnehmungen mitunter auf ein dünnes Eis.
Ein rostiges Relief an der Wand: das Metall scheint sich elegant zu strecken und zu dehnen, die leichte Eleganz verstößt förmlich gegen die Schwere des Materials – doch schon sind wir einem Zimmer’schen Täuschungsmanöver aufgesessen – denn die Rostpatina ist genau genommen ein maßgeschneidertes Kleid, welches der Gipsplastik regelrecht über den Leib gegossen wurde.

3. Zeichnungen wachsen in den Raum hinauf – Bemerkungen zu den Graphitreliefs
Eine Zeichnung wie eine gebaute Landschaft: harte Bruchkanten und elegant gekurvte Berghänge in sattem Graphit. Schicht legt sich über Schicht, die Zeichnung wächst langsam in den Raum hinauf, tausende Jahre verstreichen und abertausende Schichten entstehen – auch hier sitzen wir einer perfekten Oberflächenillusion auf, doch warum sollte man sich nicht von Zeit zu Zeit solchen Illusionen bewusst hingeben?

4. „Personal Jesus“ – Bemerkungen zu den Altarserien
Welchem Gott wird an diesen Altären gedacht? Allen und keinem. Das Zeichen lädt sich mit Bedeutung auf, wird zur sakralen Geste. Doch es verweist auf keine der uns bekannten religiösen Traditionen.
Stattdessen wirft das Zeichen den Betrachter auf sich selbst zurück – der Altar stellt dem Betrachter einen Raum zur Verfügung, um aus der Zeit herauszutreten – und ermöglicht ihm somit eine ganz individuelle Andacht.

5. Strenge Ordnung im freien Spiel – Bemerkungen zu den Wandreliefs
Vertiefungen, die ausgewaschenen Flusstälern ähneln, scheinen willkürlich die Ordnung des quadratischen Rasters zu durchschneiden. Doch die scheinbare Willkür dieser Wandreliefs entpuppt sich auf den zweiten Blick als harmonische Berechnung von Ordnung und Raumlogik.

6. Humane Objekte – Bemerkungen zu den Leiterfiguren
Figurenähnliche Leitern schrauben sich in die Höhe, drehen sich zur Seite, legen sich vorsichtig in die Hüfte – eine temporäre Materialisierung, erstarrt in der Bewegung, ähnlich der biblischen Salzsäule. Was haben sie wohl gesehen, was sie nicht hätten sehen dürfen? Oder wollten sie gar die Schwere des eigenen Körpers überwinden und stattdessen unerreichbare Höhen anstreben? Womöglich den Körper als Leiter in der Luft anlehnen und hinaufsteigen?

7. Die Präsenz der Abwesenheit – Bemerkungen zu den Zeichnungen
Zeichen im Raum – von Bernd Zimmer als großformatige grafische Serie angelegt.
Das Zeichen entfaltet seine Präsenz sowohl in der isolierten Betrachtung des Einzelblattes als auch in der Zusammenschau der Serie.
Die Zeichen scheinen permanenten Verwandlungen unterworfen zu sein, sie bäumen sich auf, drehen sich zur Seite, wachsen in die Ferne oder krümmen sich über dem unsichtbaren Boden. Wann hat man schon ein ästhetischeres Comic sehen können?

Das Zeichen schneidet sich regelrecht sein Volumen aus dem Raum heraus.
Und der Raum? Er nimmt sich zurück, tritt leise zur Seite und gewährt den Körpern den Vortritt. Doch es ist gerade die scheinbare Abwesenheit, in der der Raum seine Präsenz entfaltet. Ein dialektisches Spiel aus Anwesenheit und Abwesenheit, in dem sich die Plastizität des Zeichens und die Großzügigkeit des Raumes gegenseitig steigern.